Es dauert nicht lange, bis die Mitarbeiterin des Arbeitsamtes erkennen muss, dass sie Britt-Marie nicht abwimmeln kann – und dass Britt-Marie in ihr fortan die Ansprechpartnerin für sie irritierende Vorfälle sieht.
Denn was macht man mit einer Arbeitsuchenden, die quasi täglich fragt, wo es denn nun Arbeit für sie gibt? Man schickt sie nach Borg.
Borg ist eine kleine Vorstadt, nun ja, eher ein Dorf oder vielmehr eine Ansammlung von Häusern entlang der Hauptstrasse (nicht, dass es da gross noch mehr Strassen geben würde) und diese Häuser stehen zum grössten Teil zum Verkauf, da insbesondere in Zusammenhang mit der Finanzkrise, von der Kent behauptet, sie sei doch längst vorbei, niemand mehr eine Perspektive in Borg zu sehen scheint.
Nur wenige Familien sind noch da, deren Kinder sich im vermutlich schlechtesten Fussballteam der Welt zusammengefunden haben und die auf dem Parkplatz neben dem Pizzeria-Arzt-Post-Supermarkt-Freizeitzentrum trainieren müssen, nachdem der örtliche Fussballplatz in Bauland umgewandelt wurde, in welches jetzt doch niemand mehr investieren möchte.
Aus finanziellen Gründen sollte auch das Freizeitzentrum bis Weihnachten bereits geschlossen werden, was aber vergessen wurde und Ende Januar zweifelsohne auffallen wird: Bis dahin soll sich Britt-Marie sozusagen als Hauswartin oder eher Housesitterin um das Gebäude kümmern.
Die noch dort lebenden Borgianer nehmen Britt-Marie vorurteilsfrei auf, auch wenn sie ihnen ein wenig seltsam erscheint. Aber das beruht auf Gegenseitigkeit, da Britt-Marie es nicht fassen kann, dass so viele Menschen so unstrukturiert leben, z.B. nicht um Punkt 18 Uhr zu Abend essen, sich nach Anbruch der Dunkelheit noch draussen aufhalten und dass es absolut normal ist, dass man im Supermarkt anschreiben lässt..
Aber die Mitglieder des jugendlichen Fussballteams freuen sich sehr über Britt-Maries Ankunft: In ihrem Job hat sie kaum etwas zu tun, eigentlich muss sie nur die Zeit bis zur Schliessung des Freizeitzentrums vergammeln (nicht, dass Britt-Marie so etwas je tun würde!), und der Mannschaftstrainer ist kürzlich verstorben. Nun steht allerdings bald ein Fussball-Cup an und um dort teilnehmen zu können, muss das Team einen Trainer haben.
Nicht, dass Britt-Marie Ahnung von Fussball noch überhaupt Interesse daran hätte; prinzipiell hält sie dies für einen sehr überflüssigen Sport; aber das ist dem Team egal: Kaum in Borg angekommen, wird Britt-Marie also zur neuen Fussballtrainerin erklärt und auch, wenn sie in da überhaupt nicht qualifiziert ist, so ist sie doch zumindest befähigt genug, unter Anderem dafür zu sorgen, dass die Spieler wenigstens immer in ordentlichen Trikots auflaufen. Denn im Wäschewaschen und Flecken entfernen ist Britt-Marie eine Meisterin.
Während Britt-Marie versucht, Struktur in den Alltag in Borg zu bringen, bringen ihr die Ortsbewohner bei, nicht alles so verbissen zu sehen – und alle versuchen, das Beste aus ihrem Leben zu machen …
Fredrik Backman: „Britt-Marie Was Here“
Wer Backmans „Oma lässt grüssen und sagt, es tut ihr leid“* gelesen hat, konnte bereits Bekanntschaft mit Britt-Marie schliessen, die in jenem Roman schon eine recht präsente, sich durch extreme Pedanterie und einen gewissen Putz- und Ordnungsfimmel auszeichnende Nebenfigur war, die kaum einmal ihre eigene Meinung äusserte, sondern wieder und wieder auf Aussagen ihres Mannes Kent verwies.
Wer jenen Backman-Roman nicht gelesen hat und Britt-Marie darum noch nicht kennt, dem sei allerdings versichert, dass es nicht nötig ist, „Oma lässt grüssen und sagt, es tut ihr leid“ gelesen haben zu müssen, um „Britt-Marie Was Here“ (am 23. unter dem Titel „Britt-Marie war hier“ auch auf Deutsch erscheinend) nachvollziehen zu können.
Dieser Roman ist komplett eigenständig lesbar und es finden sich auch keine „Insider-Verweise“ auf den „Oma“-Roman, durch welchen sich Britt-Marie eben auch schon hindurchputzen durfte.
In „Britt-Marie Was Here“ erschien mir Britt-Marie letztlich auch viel sympathischer als in „Oma lässt grüssen und sagt, es tut ihr leid“, wo sie mir hauptsächlich doch wie eine unerträgliche, verbohrte und vielleicht auch verbitterte Schreckschraube erschien.
Von der Originalität und Skurrilität her fand ich „Britt-Marie Was Here“ auch viel eher mit dem „Mann namens Ove“* vergleichbar und weniger mit der grüssenden, sich entschuldigen Oma in Verbindung zu setzen.
„Britt-Marie Was Here“ zeichnet sich ebenfalls durch wundervolle Situationskomik aus, welche nie albern erscheint, aber einen ebenso zum Schmunzeln bringt wie die Ticks eines Dr. Sheldon Coopers oder, um im belletristischen Bereich zu leben, eines Don Tillman („The Rosie Project“, Graeme Simsion).
Das fängt mit dem Entsetzen angesichts des Verzichts auf Unterteller an (und noch viel schlimmer: des Gebrauchs von Kaffee-Plastikbechern), geht über die Fassungslosigkeit, dass in vielen Besteckschubladen absolute Unordnung herrscht (gleich: Gabeln, Messer und Löffel sind in der falschen Reihenfolge eingelegt) eben bis hin zum Unglauben, dass kaum jemand ganz gesittet um Punkt sechs Uhr abends isst. Zudem will Britt-Marie generell ja niemand verurteilen und sie will auch nicht sagen, dass dieser eine Junge fett wäre, aber ganz offensichtlich hat er sehr viele Softdrinks getrunken, die für Andere bestimmt waren.
Es sind diese trockenen, spröde vorgebrachten Sätze, dass „Britt-Marie würde zwar nie sagen, dass Soundso, aber…“, die sich durch den gesamten Roman ziehen und einen hoffen lassen, Britt-Maries Zeit in Borg möge doch bitte einfach nie vergehen, da man gerne von noch so viel mehr skurrilen Begebenheiten lesen möchte.
Fussball spielt in diesem Roman eine grosse Rolle: Das Fussballteam Borgs spielt voller Leidenschaft und Enthusiasmus, aber derart schlecht, dass wenn jemand einen Ball mitten ins Gesicht geschossen bekommt, man sicher sein kann, dass dies nie aus Böswilligkeit heraus geschah, denn „hätte man gezielt, würde man niemals getroffen haben“.
Ich muss an dieser Stelle anmerken, dass ich die unerschütterliche Spielfreude des Borg’schen Teams sehr geschätzt habe, da ein aus einem anderen Ort stammender und für den dortigen Fussballverein spielender Bekannter mir heute noch gerne freudestrahlend erzählt, wie seine Mannschaft das Team meines Heimatortes dereinst mit 12:0 plattmachte - und dann bekümmert fortfährt, dazu sei allerdings keine besondere Anstrengung erforderlich gewesen. („Fussballspiele sind für euch nur ein Vorwand, dass sich das Dorf zusammenrotten und Bier trinken kann, oder?“ Öhm... Nein, wir legen auch viel Wert auf den Grillstand.)
Ich habe mich als Leserin in Borg sehr heimisch gefühlt! ;)
Figuren werden weiterhin je nach favorisierter Fussballmannschaft charakterisiert, ob man auf den ständigen Sieger setzt oder auch einem absoluten Underdog zutraut, ein Spiel jederzeit beherrschen zu können etc., und für Britt-Marie tun sich hier total neue Welten auf.
Als „echten Fussballroman“ würde ich „Britt-Marie Was Here“ dennoch nicht bezeichnen wollen; dazu ist der Fussballsport hier doch viel zu sehr eine Metapher und auch wenn man so rein gar nix mit Fussball anfangen kann, ist „Britt-Marie Was Here“ dennoch kein für Einen ungeeigneter Roman: Britt-Marie kann immerhin auch nichts mit Fussball anfangen.
„Britt-Marie Was Here“ ist eine Geschichte, die Loyalität und Toleranz sowie Akzeptanz betont und die zeigt, dass das Leben erst dann vorbei ist, wenn es eben vorbei ist. Dass nichts sicher ist, man sich die Lebensfreude aber dennoch nicht nehmen lassen muss. Dass die Hoffnung nach wie vor zuletzt stirbt.
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Fredrik Backman: „Britt-Marie Was Here“ – steht dem „Mann namens Ove“ des Autors in nichts nach!
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"Britt-Marie Was Here" von Fredrik Backman, veröffentlicht am 03. Mai 2016 (ab dem 23.06.2016 als "Britt-Marie war hier"* auch auf Deutsch erhältlich)
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