Als Zoë letztlich gefunden wurde, konnte sie weder eine Wegbeschreibung geben noch den Tatort genauer beschreiben; und ein Gebäude, wie sie es beschrieb, wurde in der Umgebung nicht gefunden.
Holli gilt seither als vermisst, doch Zoë weiss: Sie muss ermordet worden sein.
Heute lebt Zoë in San Francisco und als sie in den Nachrichten einen Bericht darüber sieht, dass ein aufgehängtes Mordopfer in einem der Gebäude an den Piers gefunden wurde, ist für sie klar: Diese Frau ist ein Opfer desselben Täters geworden, der auch Holli und sie in seiner Gewalt hatte. Sie entert auf spektakuläre Weise den Tatort und dass sie in ihrer Hüfte ein ähnliches Zeichen trägt, wie es auch dem dortigen Mordopfer eingeritzt worden war, macht den zuständigen Ermittlern deutlich: Zoë ist eine Überlebende des Täters, den sie nun suchen; sie suchen keinen Mörder, sie suchen einen Serientäter.
Zoë ist wild entschlossen, endlich ihr Trauma zu überwinden, ihre Erinnerung wiederzuerlangen, um endlich um Hollis Verbleib zu wissen und der Polizei zu helfen, den Täter zu erwischen, denn Zoë ist sich mehr als bewusst, dass dieser mit ihr längst noch nicht fertig ist …
Tatsächlich hat es auch den Täter zwischenzeitlich nach San Francisco verschlagen, der es als eins seiner grössten Unglücke ansieht, dass ihm tatsächlich ein Opfer lebend entkommen konnte – und der sein Glück kaum fassen kann, als er in den Medien sieht, wie die Eine, die davongekommen war, den Tatort seines jüngsten Verbrechens stürmt … er wird wohl endlich sein Werk an ihr vollenden können?!
Simon Wood: „The One That Got Away“
Dieser Thriller Woods erzählt weder eine innovative noch überhaupt eine neue Geschichte, aber dennoch fand ich den Roman unglaublich unterhaltsam. Eigentlich ist es eine der genretypischen Jäger/Gejagte-Erzählungen und man könnte meinen, dass es mit der Spannung auch nicht allzu weit her sei, da hier hauptsächlich zwei Erzählstränge verfolgt werden: Der eine Strang erzählt von Hollis Kampf mit ihren Dämonen und der grösser werdenden Panik, dass ihr Mord noch „nachgeholt“ werden soll. Der andere Strang berichtet vom Täter und während Zoës Furcht grösser wird, ist der Leser bereits vollumfänglich darüber informiert, wie nahe der Täter ihr längst wieder ist.
Fühlt Zoë sich verfolgt und darum unsicher, weiss man als Leser, ob diese Gefühle berechtigt oder nicht sind: Da bleibt der überraschende „Aus-der-Ecke-Spring-Moment“ doch von vornherein aus, denn als Leser weiss man, womit man zu rechnen hat. Zumindest von Seiten des Täters.
Dessen Motiv, sein persönlicher Hintergrund, wird zwar erst zum Schluss des Romans hin ein wenig aufgeschlüsselt; eingangs erscheint er einfach wie ein psychopathischer Irrer, der sich an denen „rächt“, also: sie auf sadistische Weise umbringt, die sich in seinen Augen falsch verhalten haben (ohne Zweifel wäre es ihm dabei auch zuzutrauen, jemand umzubringen, nur weil der unangeschnallt über einen Feldweg getuckert wäre). Aber er wirkt in seinen mörderischen Aktivitäten absolut eiskalt, raffiniert und durchkalkuliert. Was die Darstellung seines Charakters angeht, ist er einfach eine sichere Bank.
Die Unberechenbarkeit der Geschichte geht hier von Zoë aus, die sich durch ihre Therapie quält, sich dabei in ihrem Trauma zwar auch mal zurückzieht, aber sich viel öfter auch quasi zum Tanzen auf den Rand des Vulkans stellt. Sie wirkte auf mich wie ein verlorenes Mädchen, häufig unsympathisch, manchmal bemitleidenswert, mal bewundernswert, immer zerrissen und auch irgendwie befleckt. Sie war für mich einfach eine Figur, welche durch ihre eigene Ungewissheit zerstört werden zu droht und die ihre verschwundene Erinnerung immer müder, vielleicht auch mehr und mehr des Lebens überdrüssig, werden lässt.
Das Ziel des Täters, die endgültige Zerstörung Zoës, war klar und während er sich hier sehr fokussiert verhielt, war es aber eben Zoës Auftreten, welches in mir die Spannung erzeugte, wie ein Aufeinandertreffen der Beiden letztlich ausgehen würde, denn Zoë traute ich letztlich alles zu, auch dass sie sich eventuell bereitwillig selbst als Opfer darbieten könnte. Oder dass sie einen erweiterten Suizid ausführen würde. Oder den Täter in blinder Wut und aus ungeahnter Kraft heraus exekutieren würde. Fand ich alles ebenso wahrscheinlich wie dass er sie kalt erwischen und komplikationslos killen könnte, ehe er niemals gefasst werden würde.
Zudem hegen einige Ermittler ohnehin Zweifel an Zoës Glaubwürdigkeit: Ihr einziger Schnittpunkt mit dem aufgefundenen Mordopfer ist es (zunächst), dass beide eine eingeritzte Markierung aufweisen. Ab und an wird gemutmasst, dass diese Zeichen sich nur zufällig ähneln; mal wird auch angedeutet, dass Zoë eine Komplizin des Täters sein könnte (wenn sie es nicht gar selbst wäre) und die Beiden sich einen Spass daraus machen könnten, die Polizei so derart an der Nase herumzuführen.
An anderer Stelle wird vermutet, dass Holli sich abgesetzt habe und die Geschichte ihrer Entführung und mutmasslichen Ermordung zuvor mit Zoë ersponnen habe, denn offiziell gilt Holli ja nach wie vor lediglich als verschwundene Person und ausser Zoës Aussage deutet rein gar nichts darauf hin, dass sie tatsächlich irgendwo im Nirgendwo von einem Irren festgehalten worden waren …
Insgesamt ist Zoë, die polizeilich auch kein gänzlich unbeschriebenes Blatt ist und beispielsweise wegen Ruhestörung aktenkundig ist, wobei ihre ganze Akte nach einem Rabauken bzw. einer echten Furie schreit, halt keine Zeugin, die man nicht auch mal einfach nur für völlig hysterisch halten könnte – hat sie nicht zuletzt auch einen Tatort während der Beweissicherung gestürmt und so die Vernichtung eventueller Spuren riskiert?!
Dabei hat Zoë glücklicherweise zumindest noch einen der zuständigen Ermittler loyal zur Seite stehen, welcher all diese Zweifel an Zoës Glaubwürdigkeit als Mumpitz abtut.
Nichtsdestotrotz kann man als Leser hier ins Schlittern geraten: Der Roman beginnt mit der Szenerie, in welcher sich Zoë im letzten Jahr wiedergefunden hat; dass sie sich das selbst angetan haben sollte, kann man von daher durchaus sofort anzweifeln. Aber hätte es nicht trotzdem so sein können, dass sie den Täter doch kannte, um seine Mordfantasien wusste, sich vielleicht über diese lustig machte und das alles als ein Spiel betrachtete, weil sie nicht erkannt hatte, wie ernst es ihrem Bekannten war?
Generell konzentriert sich „The One That Got Away“ sehr auf die Beobachtung Zoës; ihr wird gefühlsmässig ca. 20% mehr Raum als dem Mörder eingeräumt, der allerdings auch nicht zu kurz kommt. Aber während auch Zoës Gefühlsleben beschrieben wird, konzentriert sich der Autor im Falle des Täters mehr auf dessen Handlungen; in einem dritten Strang wird ab und an auch noch von den gegenwärtigen Ermittlungen berichtet, aber das sind doch eher seltenere und ohnehin sehr kurz gehaltene Einwürfe, die wahrscheinlich in erster Linie suggerieren sollen, dass die Polizei auch Zoë noch nicht vergessen hat.
Eingangs sagte ich es schon, dass dieses Jäger/Gejagte-Spiel im Thrillerbereich bei Weitem keine Neuerfindung ist; „The One That Got Away“ überrascht letztlich auch nur wenig, diese Geschichte kann man vielfach in ähnlicher Ausführung lesen, aber mir hat Woods Schreibstil ungemein gut gefallen und ich mochte es auch sehr, dass Zoë eben nicht nur in diese „armes Hascherl!“-Opferrolle gepresst wurde, sondern eine so multidimensionale Figur war.
Ansonsten: okay, der Hintergrund des mörderischen Treibens hat mich dann letztlich doch ein wenig genervt; können die Bösen nicht nur mal einfach von Grund auf böse sein? Auch hier bekam der Täter zum Schluss flugs noch eine Basis verpasst, die den üblichen Klischees entsprach, irgendwo zwischen Norman Bates und Jame Gumb. Aber immerhin wird so eine halbherzige Erklärung geboten, was „ihn denn zu einem solchen Monster gemacht“ habe und den ein oder anderen Leser beruhigt es vielleicht, dass jemand nicht einfach nur grundlos völlig durchgeknallt sein soll.
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Simon Wood: „The One That Got Away“ – genretypisch, aber für mich echt gut geschriebene Leseunterhaltung gewesen!
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„The One That Got Away“ von Simon Wood, erschienen am 01.03.2015
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