Denn Stargirl trägt bodenlange Kleider, die zumeist aus anderen Zeiten zu stammen scheinen, lässt sich von ihrer Hausratte auch zur Schule begleiten, hübscht ihre Schultische mit Deckchen und Blümchen auf, schleppt ständig eine Ukulele mit sich herum und singt Allem und Jedem aus jedem (un)möglichen Anlass Ständchen, tritt ungemein euphorisch auf, scheut sich nicht, auch im Unterricht völlig verrückte und absolut themenfremde Fragen zu stellen bzw. derlei Statements abzugeben – und trotz oder grad aufgrund ihrer überschwänglichen Begeisterungsstürme findet sich Stargirl letztlich in den Reihen der Cheerleader wieder.
Leo, ihr Mitschüler, der zusammen mit seinem besten Freund „Hot Seat“, ein schulinternes Interview-Show-Format produziert und von Anfang an schwer fasziniert von Stargirl und den Veränderungen, die sie in ihrem Umfeld bewirkte, gewesen ist, will sie letztlich doch in die „Normalität“ drängen, erst recht, nachdem Stargirl in ihrer ganz eigenen fröhlichen Art zu ihrem Unverständnis wiederum die totale Missachtung durch ihre Mitschüler auf sich gezogen hatte, von der „Verrückten“ zur „Geächteten“ wurde. Zudem wird er, nunmehr als „Mr Stargirl“ bekannt, kurzerhand mitignoriert und während Stargirl ihr Aussenseiterstatus nichts auszumachen scheint, wünscht sich Leo doch die gewohnte gesellschaftliche und soziale Integration.
Aber wenn Stargirl nicht länger Stargirl ist: Wieviel von ihrer ureigenen Persönlichkeit bleibt dann noch? …
Jerry Spinelli: „Stargirl“
„Stargirl“ ist ein bereits aus dem Jahre 2001 stammender Roman, der unter selbigem Titel auch schon auf Deutsch erschienen ist. „Stargirl“ ist in sich geschlossen, mit „Love, Stargirl"* (bzw. in der deutschen Übersetzung: „Lieber Leo – Dein Stargirl“*) gibt es aber noch einen Folgeband, den ich zweifelsohne nun auch noch lesen werde, denn „Stargirl“ hat mir sehr viel Lesefreude bereitet und ich mag Stargirl sehr gerne noch ein weiteres Stück auf ihrem Weg begleiten.
„Stargirl“ ist nun allerdings aus Leos Sicht heraus erzählt und obschon sich hier eben durchaus auch eine Liebesgeschichte herauskristallisiert, liegt der Fokus glasklar mehr auf den von Leo gemachten Beobachtungen, der nicht nur Stargirls schräges Verhalten beobachtet, sondern auch schon nahezu analysiert, wie sehr sich das Verhalten auch der weiteren Stargirl-Beobachter ändert, denn wie er schnell feststellt, wird nun generell mehr Individualität gezeigt; die Mitschüler beginnen sich klarer voneinander zu unterscheiden und entwickeln ein ganz neues Gemeinschaftsgefühl, denn Stargirl betont durch ihre diversen Auftritte und Aktionen immer wieder, dass jeder etwas Besonderes ist – und zeigt ihnen zudem, dass aber längst niemand so verrückt wie Stargirl ist.
Aber diese Erkenntnis und das neue Gemeinschaftsgefühl macht es der Schülerschaft natürlich auch umso leichter, sich letztlich quasi absolut unbesprochen gegen Stargirl zu verbünden.
Ein bisschen von Rhues „Die Welle“ steckte da zweifelsohne mit drinnen, auch wenn Stargirl prinzipiell wohl nur verstärkt das aufzeigt, was in ihren Mitschülern tatsächlich steckt und wie diese während der Pubertät ganz individuell heranreifen: Da ist Stargirl definitiv wie ein ganzer Schwall, allerdings ausschliesslich positiver, jugendlicher Hormone, eine junge Mary Poppins in Hippie-Gestalt.
Ich habe Stargirl absolut geliebt, ihre Lässigkeit bewundert und mir zu wünschen begonnen, dass wir alle einfach ein bisschen mehr sie wären, voller Optimismus, voller Aufmerksamkeit: In den Amazon-Rezis bemängelte jemand die Irrealität dieser Geschichte, dass sich jemand wie Stargirl grad heutzutage niemals so würde behaupten können, dass solche „Verrücktheiten“ gleich untergraben werden würden.
Hm. Ich weiss ja nicht. Nee, ich denke nicht, dass ich das so pauschalisieren würde, aber ich meine, ich war eben mitunter auch auf einer Schule, auf der sich ein Lehrer wunderte, dass „die Mädchen gehen immer zu Zweit aufs Klo und am Pausenende kommen immer sooooo viele aus dem Gebäude: Wie viele passen da eigentlich hinein?“ und um das zu beantworten, wanderte er kurzerhand mit seinem kompletten Kurs gen Toilettenhaus und zögerte auch nicht, an auf dem Weg liegende Klassenräume zu klopfen und den dortigen Unterricht zu unterbrechen, um die Kursgemeinschaften auch mitzuschleppen. Yep, das war bereits in diesem Jahrtausend und eine ziemlich typische Angelegenheit, angesichts der Tatsache, dass bei uns die Lehrer bereits so drauf waren (in Reli [sic!] haben wir irgendwie -zehn Jahre vor „50 Shades of Grey“- drei Wochen über SM geredet; ich weiss nicht mehr, wie genau wir dazu gekommen sind, aber es passte halt perfekt zum Thema), hätten wir einen Pippi-Langstrumpf-Verschnitt in unseren Reihen wohl schmunzelnd, aber wohlwollend betrachtet.
An unserer Schule wäre Stargirl klargekommen, aber wahrscheinlich letztlich auch nicht so ignoriert worden; wie ich uns einschätze, hätten wir uns gleich spontan ihrem „Vergehen“ angeschlossen.
Darum fand ich persönlich ihre Stufe dann ja auch ein bisschen blöd, zumindest noch blöder als die Tatsache, dass Leo ständig darauf lauerte, dass Stargirl sich „normal“ zu verhalten begann: Sie schien sich in ihrer Haut ja absolut wohlzufühlen und sie tat doch auch nichts Böses; warum sollte sich jemand verändern, der so sehr mit sich und der Welt im Reinen zu sein scheint?
Ich muss Leo allerdings zu Gute halten, dass er zwar mit sich haderte, ob er nicht doch lieber wieder „Leo, ein Schüler wie jeder Andere“ anstatt „Leo gleich Mr Stargirl“ wäre, aber aus seiner Verbindung zu Stargirl dennoch keinen Hehl machte, sie nicht verheimlichte oder nur versteckt zeigte.
Dadurch konnte er bei mir wieder Punkte wettmachen, aber ich fand ihn weitaus weniger charismatisch als Stargirl und dadurch, dass seine „Tunnelperspektive“ ohnehin auf Stargirl ausgerichtet war, lernte man ihn auch kaum kennen, so dass zumindest ich nicht so recht nachvollziehen konnte, was Stargirl grad an diesem Jungen auch so anziehend fand, dass sie sich recht schnell „mal so nebenher“ in ihn verliebte.
Gerne hätte ich auch über Leo mehr erfahren.
Durch die Erzählperspektive und die ausbleibende Konzentration auf die Liebesgeschichte, die hier eher nicht mehr als eine Randnotiz bleibt, wird „Stargirl“ auch zu keinem Zeitpunkt zum Kitsch- bzw. „typischen“ Mädchenroman; scheinbar wird der Roman ab und an auch mal im Englischunterricht der 8.-10. Klassen besprochen und persönlich kann ich mir sehr gut vorstellen, dass er da auch gemeinhin gut ankommt!
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Jerry Spinelli: „Stargirl“ – ein mehr als lässiges Plädoyer für Individualität und Toleranz (und Nächstenliebe)!
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„Stargirl“ von Jerry Spinelli, erschienen 2001
Amazon: Kindle eBook (4,53€)* / Taschenbuch (6,00€ [208 Seiten])*
Thalia CH: ePub eBook (CHF 5,90)* / Taschenbuch (CHF 11,90)*
Der eigenständige Roman „Stargirl“ ist ebenfalls unter dem Titel „Stargirl“ auch auf Deutsch* erhältlich. Ebenso wurde der Folgeband "Love, Stargirl" unter dem Titel "Lieber Leo - Dein Stargirl" bereits in der deutschen Übersetzung publiziert.
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