Lisa Eugene: „Grayson“°°°
Die kurz vor ihrem Studienabschluss stehende Angie lässt sich vom jungen Playboy Charles Whitmore als Reinigungskraft für ein Haus im Familienbesitz einstellen: Hier soll sie im Untergeschoss für Ordnung sorgen, künstlich durch z.B. Bücherreihen errichtete Barrikaden entfernen sowie alles Kaputte sowie jeden Tinnef ausräumen.
Das Obergeschoss soll für sie tabu sein, wie sich herausstellt, lebt Grayson, Charles‘ Vater, völlig zurückgezogen von der Aussenwelt in diesem. Gemäss Charles ist sein Vater gefährlich, kaum zurechnungsfähig, was in einer Schizophrenie-Erkrankung begründet sein solle.
Doch Angie hat, in einem weiteren Nebenjob auch noch als Krankenschwester tätig, bereits Erfahrungen im Umgang mit psychisch Erkrankten machen können und geht völlig unvoreingenommen auf Grayson zu, als es dann eben doch zu einem ersten Aufeinandertreffen kommt, in Folge dessen Grayson und sie sich immer weiter aneinander annähern.
Angie entwickelt sehr schnell tiefergehende Gefühle für den deutlich älteren Grayson, der diese zwar einerseits zu erwidern scheint, andererseits aber stark von seiner Erkrankung eingeschränkt wird, zumal er seine Medikamente kaum einmal nimmt, da diese ihn sich „stumpf“ fühlen lassen.
Sollte ich diesen Roman mit einem Auto vergleichen, würde ich ihn mit einem gebrauchten Mittelklassewagen vergleichen. Yep. Also nein, vollends überzeugen konnte mich Lisa Eugene mit dieser Geschichte nicht: Ende Juni habe ich hier im Blog bereits mit „If“ von N.G. Jones einen Roman des romantischen Genres vorgestellt, in welchem die männliche Hauptfigur ebenfalls an einer (ähnlichen) psychischen Erkrankung litt, was ich in jenem Fall als sehr viel deutlicher und fokussierter dargestellt empfunden habe.
„Grayson“ wird von Angie erzählt, die mir bis zuletzt relativ fremd war; ich habe hier zudem eine sehr grosse Distanz zur Handlung empfunden, die mich entsprechend nicht besonders tief in diese hat eintauchen lassen.
In der Kurzbeschreibung des Romans wird bereits klar auf die Schizophrenie Graysons hingewiesen, aber ich fand die Krankheit viel zu wenig präsent als dass Grayson auf mich nicht hauptsächlich wie ein schwerreicher Exzentriker und eben absolut nicht wie ein Kranker gewirkt hat.
Hatte er in Angies Beisein „Anfälle“, erzählte sie fast ausschliesslich im Nachhinein davon, als wären die Auswirkungen von Graysons Krankheit schnell und simpel abzuhandeln.
„If“ fand ich da doch sehr viel intensiver und eindrücklicher.
Dabei ist auch „Grayson“ sehr gut gestartet; ich habe mich auch bis zuletzt weder gelangweilt noch war ich irgendwann von der Geschichte genervt. Ich dachte lediglich schliesslich: „Wie, das war es jetzt?“
Der Schluss geschah in meinen Augen wirklich viel zu abrupt und überstürzt: erst so alles oh, oh, oh und dann zack, zack alles prima.
So schwebte insbesondere Charles bildlich gesprochen während der gesamten Zeit wie ein Damoklesschwert weit oben über der Handlung, verhielt sich sehr manipulativ, aber welche Konsequenzen sich letztlich für ihn ergaben, blieb gänzlich unerwähnt. Auch das fand ich auffällig, ganz so, als habe man sich die Option einer möglichen Fortsetzung, in der man Charles in den Mittelpunkt stellen würde, offenhalten wollen. Es blieben also doch einige Fragen unbeantwortet, obschon „Grayson“ im Prinzip ein eigenständiger Roman ist.
Wer „Grayson“ in der Hoffnung liest, einen etwas tieferen und genaueren Einblick in das (Liebes)Leben mit einem psychisch Erkrankten, sowie einen Überblick über damit verbundene Alltagsschwierigkeiten, zu gewinnen, wird vermutlich enttäuscht werden. Wie gesagt: Grayson Whitmore wirkt eigenbrötlerisch und exzentrisch, aber nicht krank. Auch die wenigen geschilderten Momente, in denen er von Wahnvorstellungen heimgesucht wurde, entsprachen in erster Linie der Einbildungskraft, die auch Menschen, die zwei Gläser Schnaps zuviel getrunken haben, besitzen.
Sicherlich ist grade bei entsprechender Medikation/Behandlung häufig auch ein übliches Alltagsleben für Schizophrenie-Erkrankte möglich, die Schilderung der Figur des Grayson ist daher fraglos glaubwürdig. Nichtsdestotrotz bleibt mein Eindruck, dass die Erwähnung der Schizophrenie in diesem Fall eigentlich völlig überflüssig war oder dass ihr eben viel zu wenig Raum gewährt wurde, obschon diese Krankheit bereits in der Beschreibung des Buchs stark betont wurde.
Auf mich wirkte das alles wie jemand, der an einem sonnigen, heissen Sommertag (wie übrigens hier im Aargau auch heute wieder) ständig nur darauf hinweist, dass dort gaaaaaaaanz hinten, also vermutlich schon mindestens zwei Kantone weiter, aber eine Wolke zu sehen ist.
Ich fand die Schizophrenie Graysons für die Handlung tatsächlich fast völlig irrelevant; meines Erachtens hätte man ihn wirklich ebenso gut als Exzentriker darstellen können, bei dem man nicht weiss, wie ernst er etwas meint.
In jenem Fall würde ich diesen Roman Eugenes sicher gut gefunden haben, für eine „sehr gut“-Beurteilung würde mir auch dann der Schluss zu lückenhaft erfolgt sein. Durch diesen vorgegebenen Fokus auf die Schizophrenie, die dann doch kaum offensiv dargestellt wurde, empfand ich „Grayson“ nun lediglich als okay, wie gesagt: der gebrauchte Mittelklassewagen (den man auch als geeignet ansieht, dass ein Führerscheinneuling damit erste Fahrerfahrungen sammelt).
Wer sich einerseits für einen Liebesromane, in dem auch mal eine psychische Erkrankung eine Rolle spielt, interessiert und andererseits doch noch ein wenig vor der Konfrontation mit psychisch Erkrankten zurückschreckt, der kann sich meiner Meinung nach mit „Grayson“ sicher ganz gut an diese Problematik herantasten.
Jemand, der hingegen etwas über die ganzen potentiellen Ausmasse einer solchen Krankheit, auch über einen längeren Zeitraum hinweg, innert einer Partnerschaft lesen möchte, sollte, wie ich finde, allerdings eher zu N.G. Jones‘ „If“ greifen.
Ich denke, dass ich insbesondere auch deshalb ein wenig mehr von „Grayson“ enttäuscht bin, da ich eben kürzlich erst das sehr viel eindrücklicher wirkende „If“ gelesen habe: Wer sich für beide Romane interessieren sollte, dem rate ich darum dringend dazu, zunächst „Grayson“ zu lesen, ehe man sich an die Lektüre von „If“ macht.
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Lisa Eugene: „Grayson“ – ein zeitgenössischer Liebesroman, in dem der vorgeblich dominante Aspekt einer psychischen Erkrankung in meinen Augen nicht wirklich dominieren konnte!
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„Grayson“ von Lisa Eugene, erschienen am 25.09.2014
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