Montag, 15. Mai 2017

[Montagsfrage] Persönliche Entwicklungen

Nun ist das Rezensionsexemplar zu „Cheater’s Regret“ ausgelesen, die Rezension auch schon fertig geschrieben (wird aber trotzdem erst ab dem 24. hier zu lesen sein, aber pssst: Die sich schon herauskristallisiert habende Empfehlung wird es weiterhin geben!), und ich habe noch ein bisschen Leerlauf, ehe ich später ein Date mit meinem Mann habe. Jetzt wüsste ich nix mit meiner Zeit anzufangen, gäbe es da nicht die Montagsfrage, die heute lautet:

Gibt es ein Buch,das du früher richtig gern mochtest, aber heute nicht mehr?

Öhm. Nein. Frage beantwortet, immer noch so viel Zeit totzuschlagen.

Wobei: Zwischen Weihnachten und Neujahr habe ich bei meinen Eltern im Umzugskarton mit meinen Kinder- und Jugendbüchern gewühlt und ohjeh, also doch, Dolly und Ulrike habe ich früher ja um das Leben in ihren jeweiligen Internaten schon nahezu beneidet. Wenn „Dolly im Internat“ und „Ulrike im Internat“ nicht mehr als riesengrosse Fragezeichen über euren Köpfen bei euch auslösen: Macht nix.
Grad die Ulrike war von Anfang an eine ungeheuer verwöhnte Zicke, die ich auch mit 12 schon nicht habe leiden können; nichtsdestotrotz habe ich ihre Geschichten quasi wiederholt gefressen. Muss da wohl schon noch etwas masochistischer veranlagt gewesen sein.
Und wenn man bedenkt, dass im Alter von acht bis zehn Jahren Astrid Lindgren, Otfried Preußler, Erich Kästner und Michael Ende bei mir ganz hoch im Kurs gestanden haben und ich erst kürzlich nach wie vor begeistert die Jim-Knopf-Fassung der Augsburger Puppenkiste geschaut habe, war mit Internatsulrike definitiv ein literarischer Tiefpunkt meinerseits erreicht.
Aber wie gesagt: Da war ich 12. Beginn der Pubertät. Nicht zurechnungsfähig aufgrund der Hormone!

Bei den bevorzugten Genres gab es Verschiebungen, aber ich denke, sowas mag mitunter auch altersbedingt sein. 
Eine Zeitlang habe ich recht gerne Mittelalterromane und sonstige historische Schinken gelesen; nu bin ich selbst älter geworden, da reicht mir dann alles ab ca. 1850. Wobei ich aber auch einfach gemerkt habe, dass, gut, liegt vielleicht nicht am eigenen Alter, sondern einfach an der eigenen Bildung, dass mir die von mir früher eben durchaus auch weggesuchteten Schnulzen vonwegen „der Ritter erobert die Lady“ irgendwann zu irreal und zu überromantisiert wurden. Habt ihr schonmal im Hochsommer eine mittelalterliche Burg besichtigt? Da zieht es wie Hechtsuppe und in diesen Romanen wälzt sich der Ritter da im tiefsten Winter im Licht einer Funzel über die Lady hinweg, die später in ein Leintuch gewickelt lässig über den Steinboden hinweg zum Badezuber spaziert, den ihre Zofe da mal eben ganz allein schon vorbereitet hat. Öhm ja. Die Pest wütete dann auch häufig nur im Nachbardorf, in dem auch Hexenverbrennungen stattfanden.
Romane wie „Die Päpstin“ oder „Der Name der Rose“ lese ich weiterhin mal ganz gerne, aber die sind ja auch grad gar nicht von mir gemeint.

Bei Schnulzen im Hier und Jetzt stört es mich seltsamerweise hingegen nicht so sehr, wenn da Szenerien geschildert werden, die so auch im Grunde genommen nur herbeikonstruiert sind. Aber auch bei zeitgenössischer Belletristik merke ich, dass ich es inzwischen doch auch sehr positiv aufnehme, wenn da auch mal Gesellschafts- bzw. Sozialkritik aufkommt und sie es einem quasi unmöglich machen, die erzählten Geschichten nicht auf die Realität zu projizieren und sich keine entsprechenden Gedanken „über uns hier draussen“ zu machen.
Wo beispielsweise aktuell eine YouTuberin als Sängerin auftritt: Da wirkt Alex Caans „Cut to the Bone“ noch aktueller, weil es dort eben auch um Vlogger-Verrücktheiten geht, da wo ein berühmtes Vlogger-Pärchen im Grunde genommen nur zusammen ist, weil es gut für das Business ist, wo fragwürdige Firmen mit populären Vloggern die junge Zielgruppe umwerben, weil es gut für ihr Image ist, und wo Fans ihren Guru stalken und lautstark gegen dessen Verhaftung protestieren, weil der ja so süss sei und sich in seinen Videos immer so lieb geben würde, dass er ganz bestimmt nie gewalttätig sein könnte. Wo sich Menschen, Opfer, eigentlich aus demselben Grund ihr Schweigen teuer erkaufen lassen, weil sie trotz der Beweislage sonst doch zum totalen Buhmann gemacht werden würden.

Oder auch Patti Blounts “Some Boys“, das von Victim Blaming erzählt und einem Opfer, das nicht zu schweigen bereit ist, und einem Freund des Täters, der daran zu zweifeln beginnt, dass sein Kumpel der sympathische, allseits beliebte Sonnyboy ist, der seine Hände zu Recht in Unschuld waschen würde – und wiederum entscheiden muss, ob er sich mit der grossen Masse tatsächlich anzulegen bereit ist.

„Show Time“ von Phil Harvey, eine Art “1984” der Gegenwart: Eine Gruppe Menschen, die ohne besondere Ausrüstung im Rahmen eines Reality-TV-Formats für sieben Monate auf einer Insel quasi „auswildern“ lassen, während die Produktionsfirma zusammen mit der Politik sozusagen darauf hofft, dass sich die Teilnehmer möglichst gegenseitig abzumurksen beginnen, weil das nicht nur toll für die Quote sei, sondern weil ein gebannt vor den Fernsehern sitzendes Volk nicht dagegen protestieren kann, dass man die Armee währenddessen ein anderes Land plattmachen lässt.

Auszug aus dem Anfang von "Harmony, USA"*
Aber auch „Harmony, USA“ von Lewis Bryan, was einen das mit der Selbstjustiz nochmals in einem ganz anderen Licht sehen lassen könnte.

Okay, von den genannten Titeln kommt nur „Some Boys“ mit einem klaren Romance-Anteil daher; die anderen Romane sind eher Dramatik; selbst „Cut to the Bone“ habe ich da weniger als Krimi und mehr als dramatisches Spiegelbild der Gesellschaft empfunden, wobei ich da aber auch merke, dass ich den klassischen Krimi früher lieber gelesen habe.
Heute ziehe ich Psychothriller vor und solche Krimis, in denen der Mensch im Vordergrund steht und man auch die Opfer- oder auch die Täterfigur (wie grad in „Harmony, USA“, das vom zunächst anonymen Mörder erzählt wird) näher kennenlernt und nicht nur das, was Ermittlungen ergeben, über sie bekannt wird.  

Es gibt jetzt allerdings ebenso wenig wie ein bestimmtes Buch ein bestimmtes Genre, was ich heute im Gegensatz zu früher komplett meiden würde; Genres, die mich früher nie gereizt haben, reizen mich nach wie vor nicht sonderlich. Ich habe lediglich innert der Genres ein wenig andere, nachhallendere Ansprüche entwickelt.
Kommt vielleicht aber doch auch mit dem Alter, vonwegen „Kommt Zeit, kommt Rat“ (oder eben literarisch Wertvolleres). ;)
Kennt ihr das auch schon? Wenn man merkt, dass man alt wird? ;) Damn it... ich habe in zwei Wochen schon wieder Geburtstag. :/ 

1 Kommentar:

  1. Liebe Tanja,

    es gibt einige Bücher, die mir heute anspruchslos erscheinen, obwohl ich sie mal sehr gern gemocht habe.
    ich bin davon überzeugt, dass wir, die über Literatur bloggen, uns einfach auch sehr weiterentwickeln. Unser Anspruch wächst und das was wir einst gut und schön empfanden, erscheint uns heute anspruchslos. Es ist aber sehr schön, das zu erkennen, finde ich.

    Dank der Montagsfrage habe ich deinen Blog entdeckt und folge dir gern.

    Liebe Grüße

    Anja von Nisnis Bücherliebe

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