Mittwoch, 14. Februar 2018

Amy Lloyd: "The Innocent Wife"

Dennis war eben erst 18 geworden, als er zum Tode verurteilt wurde: In seiner Heimatstadt waren in kurzer Abfolge einige junge Mädchen und Frauen verschwunden. Nach dem Auffinden der Leiche der ermordeten kleinen Holly war Dennis rasch als Täter ausgemacht worden; er hat nie gestanden und die anderen Verschwundenen sind nie wieder aufgetaucht. Bis heute wird gemutmasst, bei Dennis handele es sich um einen Serienmörder.
Inzwischen sind 20 Jahre vergangen; Dennis‘ Hinrichtung steht immer noch aus.

Die Britin Sam ist Anfang 30 und eine zurückgezogen lebende, eher menschenscheue Lehrerin, die an ihrem Job keine Freude hat. Seit Jahren begeistert sie sich für True-Crime-Shows und ist so auch auf den Fall Dennis Danson aufmerksam geworden, welchen die Filmemacherin Carrie mit ihrem Team längst dokumentarisch aufgearbeitet hat: Carrie, die seither zu Dennis‘ engsten Vertrauten zählt, arbeitet auch eigentlich an einer neuen, aktuellen Dokumentation des Falls.
Unter dem Titel „When the River Runs Red“ ist längst auch ein Sachbuch über Dennis veröffentlicht worden.
Sam, völlig fasziniert von Dennis und von seiner Unschuld überzeugt, ist online in einem thematisch entsprechenden Diskussionsforum aktiv und schliesst sich auch der #FreeDennisDanson-Kampagne an, die von Denjenigen lanciert wurde, die wie Sam nicht glauben, dass Dennis schuldig ist.
Es entspinnt sich eine Brieffreundschaft zwischen Sam und Dennis, welche in eine Briefliebschaft mündet. Sam besucht Dennis in den Staaten, wo er ihr, noch im Todestrakt sitzend, einen Heiratsantrag macht, den Sam annimmt, woraufhin sie in den Staaten bleibt und ihr Leben in England abrupt hinter sich lässt. 

Dann ist die Initiative erfolgreich: Dennis‘ Unschuld bezüglich der Ermordung Hollys wird bestätigt und er wird freigesprochen, während nicht nur in seiner Heimatstadt immer noch geraunt wird, er würde aber ganz bestimmt für die nach wie vor spurlos Verschwundenen verantwortlich zeichnen.
Nach Dennis‘ Freilassung fühlt Sam sich allerdings als sei sie lediglich seiner Entourage zugehörig: Das Gefühl der Vertrautheit ist weithin verflogen und Dennis blockt auch jegliche Nähe ohnehin ab. Ohnehin verhält er sich häufig völlig verquer und unzeitgemäss: Seit 1993 hat er eingesessen; das komplette Internet-Zeitalter ist für ihn völlig neu und seine Ansichten ebenso wie Äusserungen häufig völlig unzeitgemäss, Letztere allzu häufig auch politisch völlig inkorrekt, wobei Dennis beispielsweise nicht versteht, was daran falsch sei, wenn er sagt, er habe noch nie zu den privilegierten Weissen gehört: Zeitweise sei er schliesslich der einzige Weisse im Todestrakt gewesen.
Sam fühlt sich völlig verloren, Dennis scheint völlig verloren im aktuellen Zeitalter zu sein und als sie einige Zeit in Dennis‘ Elternhaus verbringen, in einer Stadt, die ihn nahezu geschlossen ablehnt: Da beginnt Sam daran zu zweifeln, dass Dennis tatsächlich durch und durch unschuldig ist…

Amy Lloyd: „The Innocent Wife“


An alle anderen Bücher 2018, die ich schon gelesen habe und die ich noch lesen werde: Ihr könnt zwar Hunderte sein, aber jetzt habt ihr es echt schwer. Mein Lese-Highlight 2018 steht bereits jetzt auf ziemlich sicheren, stabilen Elefantenbeinen.

Nachdem ich begonnen hatte, „The Innocent Wife“ zu lesen, wollte ich ja eigentlich gleich von diesem Buch zu schwärmen beginnen und habe darum gestern zum ersten Mal bei „Gemeinsam lesen“ mitgemischt – und halt mit dem Schwärmen begonnen.

„The Innocent Wife“ ist Amy Lloyds Romandebüt; mit diesem Manuskript bzw. der Idee zu dieser story hatte sie 2016 die Daily Mail First Novel Competition gewonnen – und mich hatte sie eigentlich schon mit der grundsätzlichen Idee der Handlung (Frau verliebt sich in freikommenden Todesstrafenkandidaten und beginnt im Nachhinein zu zweifeln) gewonnen.
Den expressiven Jubelzusatz „the breakout psychological thriller of 2018“, der sich aktuell auch direkt im Titel bei Amazon befindet, würde ich generell als zu marktschreierisch und effektheischend empfunden haben, aber dieser Zusatz wurde von „tipped by Lee Child and Peter James“ gefolgt. Mag man auch als typisches Marketingmuster empfunden und hat bei mir genauso funktioniert: Für mich machte es den „breakout psychologisch thriller of 2018“ realer, die Bezeichnung als solcher „echter“.
Ausserdem hatte es zuletzt eine schottische Bekannte gelesen, durch die ich so überhaupt erst über diesen Roman stolperte, und das Buch als ungemein fesselnd bezeichnet.

Das war „The Innocent Wife“ wirklich: Dies ist kein romantischer Thriller, als Paar wirken Sam und Dennis im Grunde genommen gar nicht. Die Brieffreund- bis liebschaft scheint noch eher rührselig und sentimental, als würde vor Allem Sam hier ein selbsterdachtes Bild von Dennis in das Original hineinprojizieren. Das merkt man auch später, wenn klare Belege dafür geliefert werden, dass Dennis schon ein durchaus schwieriges Kind gewesen ist und in seiner Jugend definitiv Gaunereien wie Diebstähle etc. begangen hat: An diesen Stellen sieht Sam immer nur das von den Eltern vernachlässigte, misshandelte Kind und einfach einen hilfebedürftigen jungen Menschen, dem das Leben schon übel mitgespielt hat. Auch hier weigert sie sich, Dennis als Straftäter anzuerkennen.    
Sam fand ich, bis sie sich letztlich doch erlaubte, an Dennis zu zweifeln, sehr verblendet: In ihren Augen war es auch völlig unverschämt von den Bewohnern Dennis‘ alter Heimat dort klar gegen ihn zu agieren und ihn regelmässig aufzufordern, endlich zu verraten, wo er die Leichen der nach ihrer Überzeugung von ihm ermordeten anderen Verschwundenen, die weithin längst offiziell als tot galten, versteckt hatte. Sie verlangte, zumindest eingangs, dass jeder Dennis als unschuldig an einfach Allem ansehen sollte. 

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis litt sie deutlich darunter, dass er sie nicht tatsächlich wie seine Frau behandelte, dass er mit ihr eher wie mit einer ganz guten, aber doch platonischen Bekanntschaft umging. Als Leserin hatte ich hier das deutliche Gefühl einer depressiven Protagonistin, die sich durch Dennis zwar klar verletzt fühlte, aber einerseits dachte, in Europa würde eh nix auf sie warten und andererseits, dass Dennis eben durch die jahrelange Zeit im Todestrakt an keinen sozialen Umgang mehr gewöhnt war und sich erst wieder an all die Freiheit, all die Menschen gewöhnen musste. Eigentlich war das aber auch Blödsinn, denn um seinen Fall herum war längst eine Art Kult entstanden, er hatte auch abgesehen von Sam regelmässigen Briefkontakt zu anderen Unterstützern; an einer Stelle klingt deutlich durch, dass er zwar im Todestrakt inhaftiert gewesen sei, aber eben nicht in Isolationshaft… aber Sam projiziert auch hier wieder ihr Bild eines einsamen, alleingelassenes Manns in Dennis hinein, der nur Zeit braucht, um mit ihr auch ausserhalb der Gefängnismauern vertraut zu werden. 
An mancher Stelle merkt man auch deutlich, dass Dennis zeitlich tatsächlich sehr Anfang der 90er stehengeblieben ist; wie schon in meiner obigen Kurzbeschreibung des Inhalts wird immer mal wieder die BlackLivesMatter-Bewegung angesprochen: Nach Dennis‘ Freispruch wird öffentlich klar und deutlich gefragt, wann weisse Filmmacher denn auch mal Schwarze aus dem Todestrakt freikämpfen würden. Für Dennis sind diese Proteste völlig sinnlos und er versteht nähere Erklärungen auch nicht; er kapiert es nicht, weil er ist ja weiss. Die zuvor angesprochene Diskussion bezüglich der „Privilegien der Weissen“ macht es dann nur noch deutlicher, wie verbohrt er eigentlich ist, antwortet schliesslich eben, dass er zeitweise doch sogar der einzige Weisse im gesamten Todestrakt war, und ist völlig überfordert, als der Streitpartner entgegnet, dass gerade das doch der Punkt sei.
Dabei entstammt Dennis definitiv der absoluten Unterschicht der Gegend, würde definitiv als white trash bezeichnet werden: Rein aus seiner Sicht, mit diesem Tunnelblick gesehen, ist er also wirklich nicht privilegiert, sondern stammt aus miserablen Verhältnissen, aber er ist eben auch so verbohrt, sich nichts sagen zu lassen, Erklärungen nicht folgen zu wollen, und unbedingt auf seinem ureigenen Standpunkt zu beharren.  
Diese Ignoranz lässt sich auch bald ein Gros seiner „Fans“ von ihm abwenden: War er direkt nach seiner Freilassung noch gefeiert und bejubelt worden, überschüttet mit allem möglichen Luxus, wird er nach den ersten Interviews schnell zum „heissen, aber total gruseligem Ex-Todesstrafenkandidaten“. Der Ruhm verblasst schnell, die #FreeDennisDanson-Initiative ist mit seiner Entlassung aus dem Gefängnis quasi erledigt, die True-Crime-Fans, die früher seinen Fall so emsig verfolgt hatten, wenden sich neuen Fällen zu, aber was vor Allem bleibt ist der Gegenprotest der Leute, die nach wie vor glauben, Dennis würde hinter den nach wie vor offenen Fällen der verschwundenen Mädchen stecken.

In „The Innocent Wife“ befindet man sich nahezu immer an Sams Seite, wie für Sam bleibt Dennis auch dem Leser eher ein Fremder. Aber auch Sam fand ich schwierig: Sie war für mich von Anfang an wie jemand, der blindlings und allzu gerne ins Verderben rennt und sich dabei einredet, sich aber in einer Art totalen Traumwelt zu befinden. Ich glaube, ich habe selten eine so zutiefst unsichere und unglücklichere Protagonistin erlebt. Sie wirkte ständig wie wer, der auf der Flucht vor sich selbst ist und sich dabei in eine Scheinwelt flüchtet, in welcher der Häftling im Todestrakt der absolute Traummann ist, in der sie als Prinzessin ihren Ritter vor dem Drachen, in diesem Fall wohl dem elektrischen Stuhl, rettet. Aber Märchen enden wohl nicht unbedingt grundlos, bevor das „echte Eheleben“ beginnt; in „The Innocent Wife“ fand ich die Grundstimmung von Anfang an bedrohlich. Ich habe auf ein positives Ende für Sam gehofft, aber ich habe von Anfang an nicht unbedingt an ein happy end mit Dennis geglaubt.
Was Dennis potentielle Schuld oder Unschuld anging, war ich sehr vorurteilsfrei und offen: Ich war, während die Handlung voranschritt, weder prinzipiell von seiner Unschuld überzeugt noch meinte ich, er müsste unbedingt etwas damit zu tun haben. Diese Ungewissheit machte später, zusammen mit Sams aufkommenden Zweifeln, aber auch fast die gesamte Spannung aus. Dabei war mir Dennis relativ egal, aber Sam war von Anfang an so verzweifelt und ich überlegte nur, was wäre, wenn diese Verschwinden niemals aufgeklärt werden würde und die Zweifel auf ewig bestehen würden; grad die Familien der Opfer würden doch niemals verstummen und es würde ein Lebtag lang gemutmasst werden, Dennis habe all diese Mädchen umgebracht: Wie um alles in der Welt sollte Sam auf Dauer nicht an dieser Skepsis, den Vorwürfen Dritter, zerbrechen, da sie ja schon seit Dennis‘ Haftentlassung völlig von ihrer Umwelt überfordert zu sein schien.

„The Innocent Wife“ hat mich da völlig in seinen Bann gezogen; ich fand diesen Thriller soooooo gut: Der Roman war nun definitiv ein echter Hit, und ich glaube tatsächlich jetzt schon mein Lese-Highlight 2018 gefunden zu haben. Absolut super und glasklare Empfehlung!

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Amy Lloyd: „The Innocent Wife” – ein Thriller, der vor düsterem Hintergrund sehr das dunkle Seelenleben seiner Figuren beleuchtet  und einfach eine beeindruckende Geschichte auf eindrückliche Weise erzählt!
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„The Innocent Wife“ von Amy Lloyd, digitale Erstveröffentlichung Oktober 2017
Amazon: Kindle eBook (9,49)* /  Taschenbuch (9,99€ [400 Seiten])* erscheint am 23.08.2018 / gebundene Ausgabe (11,99€ [384 Seiten])*

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